EYEHATEGOD, TREEDEON
D-Wiesbaden, Schlachthof (Kesselhaus) - 14. April 2015
Der Schlachter Wiesbaden ist endgültig zur einzigen und führenden Instanz in Sachen Doom in Hessen aufgestiegen. Mit Jex Thoth, Eyehategod sowie Ufomammut und Conan bot der April gleich drei doomige Nächte. Und daß, nachdem man vom Filz und Mief der „Räucherkammer“ in eine schöne reine Welt umgezogen ist... Seit Februar gilt der umgebaute alte Wasserturm des Schlachthofs als neues Quartier. Hier befindet sich der Konzertraum, der nun nicht mehr „Räucherkammer“ sondern nach seiner ursprünglichen Bestimmung „Kesselhaus“ heißt, sowie die umgezogene „60/40“-Kneipe. Sämtliche Räume liegen direkt neben der noch bestehenden Großen Halle und sind in die Grünanlage hin zum Wiesbadender Bahnhof eingebettet. Das Gebäude selbst hat Wände aus Backstein; die neue Bühne ist hoch, mittig, bietet gute Sicht - wirkte aber etwas überdimensioniert. Am 17. März wurde die Unbefleckte durch To Kill A King defloriert. Trotz aller Luftigkeit strahlte das Kesselhaus mit seiner lichten Decke zugleich ein Gefühl der Enge aus. Und es bot auch kein Höckerchen zum Sitzen, dafür ideologische Fahnen. Man muß nicht alles lieben. Doch es waren definitiv zu viele Menschen. Mit über dreihundert drohte das Kesselhaus zu bersten. Ach ja: Zwei Gruppen traten auch noch auf. Leider spuckte uns ein ausgefallener Pendlerzug in die Suppe. Die erste Viertelstunde lief ohne Frau Peanut und mich...
Sie ist nicht totzukriegen, die Noise-Crossover-Avantgarde. Aber auch Noiserocker werden älter. Was ist zum Beispiel aus Jingo de Lunch und Ulme geworden, die in den Neunzigern für Aufsehen sorgten? Nach bahnbrechenden Frühwerken, als man vielleicht schon vom großen Aufstieg träumte, nach deutlich schwächeren Fortführungen und künstlerischen Kontroversen sank der Stern. Ulme-Gitarrist und Sänger Arne Heesch und Jingo-Sängerin Yvonne Ducksworth haben nach wie vor keine Lust auf Rockstar-Bullshit. Lieber hängen sie in Kruzberg ab, vermählen sich und retten ihre Seelen und ihre Begeisterung für die Musik mit einer Low-Budget-Gruppe gegen den Strom. TREEDEON nennt sich das menschenvernichtende Baumwesen, das von Trommler Boomer als Drittem im Bunde komplettiert wird. Treedeon versammelten ihre Noise- und Punk-Wurzeln und spickten sie mit Voodoo-Tänzen, emotionsgeladenem männlichen und rauhem weiblichen Gesang, polternden Trommeln und organischen Tribals auf der Gitarre. Heraus kam eine Kreatur aus einer Art Sludge und dem Zeitgeist des neunziger Core, die nicht ins gängige Doom-Raster paßt und wie eine 'Lowest Level Reincarnation' (so der Albumtitel) seinen eigenen Weg geht. Dabei ließ sich Frau Ducksworth weder ein flammendes Plädoyer aufs Anderssein in Kreuzberg verbieten, noch einen finalen Dank auf Englisch, der in Kurzform „It was fucking awesome. The last is calling 'Terracide'.“ lautete. Am Ende umarmten sich die drei rituell.
New Orleans´ Sludge-Könige waren zurück mit ihrem ersten Langeisen seit 14 Jahren, das so heißt wie die Gruppe selber: EYEHATEGOD. Einer aus der Besetzung, die 'Eyehategod' einspielte, lebt heute nicht mehr. Joey LaCaze hatte zehn Tage nach unserem persönlichen Treffen in Nürnberg 2013 aufgehört zu atmen. Das im Folgejahr erschienene Werk war noch von Joey eingehämmert worden. Nach dem Auftritt im „K4“ vor zwei Jahren lag die Latte hoch. Doch heute war alles anders. Und dabei begann es so vertraut. Nachdem Mike IX unmittelbar vorm Auftritt an der Bar ein Fläschchen Cider bezahlt hatte, wirkte er Minuten später auf der Bühne zusammen mit Jim Bower, Brian Patton, Gary Mader und dem neuen Schlagzeuger Aaron Hill wie einer unter fünf am Bühnenrand aufgereihten Überhöhten. Jedweder Versuch einer Interaktion - etwa das Problem mit einem Zuschauer mit Crowbar-Tattoo - waren zum Scheitern verurteilt. Genauso entrückt klang die Reaktion des Frontmanns auf die „Happy birthday“s zu seinem heutigen 47. Sonnenaufgang. Williams dankte mit „It´s a shit day. Could commit suicide!“ Derweil verließ ein Besucher mit blutender Nase den Raum... und headbangten Arne und Yvonne wie entfesselt zu „Zero Nowhere“. Was in den nächsten neunzig Minuten folgte, war eher derber, wendungsreicher Hardcore als Sludge, geschweige denn Doom. Eyehategod rasten sozusagen durch die Nacht in Wiesbaden. Wobei Mike IX auch weitgehend auf seine giftigen Tiraden verzichtete. Seine Stimme klang heute wie die der Hyäne, die Kreide fraß. Alles war seltsam glatt und Eyehategod wirkten mit sich und der Welt im Reinen. Nach einem dreimaligen „Thank you!“ fand die Schau durch „Run It Into the Ground“ ein gnädiges doomiges Ende. Und in Gestalt von Mader reichte mir wenigstens einer der Unberührbaren erschöpft und zugleich vor Glück strahlend die Hand.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
TREEDEON
(21.00-21.38)
1. Wendigo
2. Satan´s Need
3. Extinction
4. Venus With Teeth
5. Soul on a Leash
6. Terracide
 
EYEHATEGOD
(22.00-23.30 / evtl. nicht ganz richtig)
1. Agitation! Propaganda!
2. Lack of Almost Everything
3. New Orleans Is the New Vietnam
4. 30$ Bag
5. Parish Motel Sickness
6. Zero Nowhere
7. Blank / Shoplift
8. Medicine Noose
9. Framed to the Wall
10. Sisterfucker (Part I)
11. Sisterfucker (Part II)
12. Dixie Whiskey
13. Jack Ass in the Will of God
14. White Nigger
15. Serving Time in the Middle of Nowhere
16. Revelation/Revolution
17. Take as Needed for Pain
18. Blood Money
19. Nobody Told Me
20. Methamphetamine
21. Peace Thru War (Thru Peace and War)
22. Run It Into the Ground
Während Eyehategod trafen wir am Tresen auf die Leute von Treedeon. Sie waren ein merkwürdiges Gespann: Hier Hamburgs Arne als grüblerischen Blondschopf voller schwerer Gedanken. Da Yvonne, die quietschfidele, hochaufgeschossene Furchtlockenträgerin mit der großen Klappe. Beide keine Spur verbraucht. Das in Kanada geborene und zeitweilig im Frankfurter Vorstadtghetto Dietzenbach lebende Girl kannte mich vom Sehen aus der „Batschkapp“. Nachdem man ihr 1993 den Zutritt verweigerte, hatte sie ein Jahr später mit Jingo de Lunch auf der Dejaa-Voodoo-Tour die Bühne der Kapp gerockt. Neben ihrer Funktion als Frontfrau war und ist Ducksworth übrigens auch noch Mitmoderatorin der Sendung „Metalla“ (Viva), Independent-Schauspielerin sowie Vollkontaktsportlerin in einer Roller-Mannschaft. Oh mein Gott... da braucht es Nerven wie Stahlseile! Aber zusammen mit Boomer paßten die drei wunderbar zusammen. Am Ende trugen unsere Eintrittskarten die Unterschriften von Mike IX und den dreien von Treedeon. Ich revanchierte mich mit einer Runde Freibier. Und Arne gestand, daß Treedeons gestriger Auftritt im Berliner „Cassiopeia“ weitaus besser war als der heutige. Für uns war es eine Geschichte mit Sympathie- und Legendenzuschlag.
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 16. April 2015