ENDSTILLE, DISCREATION, RETALIATION
D-Darmstadt, Goldene Krone - 26. Januar 2008
Nach Wochen der Funkstille krachten plötzlich am selben Tag, zur selben Zeit und in der selben Stadt zwei riesige Konzerte aufeinander. Zum einen das Doom-Ambient-Sludge-Psych-Fest mit Black Shape of Nexus, Omega Massif, Golden Gorilla, Suns of Atacama, Excapsule und Mills Of God in der „Oetinger Villa“. Zum anderen eine Black- und Death-Metal-Nacht mit Endstille in der „Krone“. Keine Diskussion für Doom-Aficionados - wären da nicht wirre Aschauungen, die einem die favorisierte Musik verhageln. Ein Blick auf das Programm und den Ort, und das Vorhaben hatte sich erübrigt! Aber wie durch Zauberhand sollten nur wenige Kilometer von der Villa entfernt Deutschlands beste Kriegsmetaller (Endstille) aufmarschieren...... „Kannst du deinem Mann mal beibringen, daß er für Endstille keine Karten kaufen soll?“ Dieser von Veranstalterin Evi an Peanuts Adresse gerichtete Rüffel bedeutete nichts anderes, als daß wir bei Endstille auf der Gästeliste standen, ich aber im Vorverkauf den Normalpreis von 28 Euro geblecht hatte. Evi machte also wieder die Kasse und die bekannten Soleïlnoïr-Mitglieder Jörg und Erde die Soundanlage. Alles wie immer - nur daß zweihundert Anhänger den Saal heute sehr spärlich ausfüllten. Viele Hemden von Endstille und Burzum waren zu sehen. Wäsche, für die man woanders - obwohl ein Stück Stoff gar nicht faschistisch sein kann - Prügel bezieht.
„Hallo! Wir sind - nicht wie auf den Flyern abgedruckt: „plus support“ -, sondern RETALIATION aus Marktheidenfeld, und wir spielen Death Metal!“ Nachdem der Frontmann den Ruf hergestellt hatte, gebührte ab 21.05 Uhr den jungen Mainfranken die Ehre, für Endstille das Feld zu ebnen. Sie taten dies mit grollenden Gitarren, panzerartig polternden Trommeln, barbarischem Geröchel und rotierenden Mähnen. Kurzum: Retaliation verströmten die Aura des alten, kraftvollen Death Metal mit Lehrmeistern wie den heiligen Benediction und unheiligen Deicide - und litten dabei arg unter ihrer Rolle als Kanonenfutter. Vor der Bühne regte sich kein Mäuschen. Was den Sänger mehrmals ein sarkastisches „Prost!“ in die Meute schleudern ließ. Nachdem durch einen schirmbemützten Gastvokalisten auch noch dem Haß gegen Nazis Luft gemacht war, sollten die stärksten Momente in einem durchaus passablen Auftritt alles vergelten: Auf „Disillused Life“ - für das Sänger Schwarzkopf extra einen hohen Boxenturm erklomm - lieferten die Ex-Invalid Injection in der Verlängerung zwei Nummern ab, die sich gewaschen hatten. Zum einen „Enticing World of Eternal Life“. Zum anderen ein Deutsches mit dem bezeichnenden Namen „Am Anfang der Stille“.
2003 auf dem Rock-in-Schroth-Festival von uns erstmals erlebt, haben die Death-Metaller DISCREATION die Zeit mit zig zu Grabe getragenen Gruppen überdauert, und standen heute direkt vor den großen Endstille auf dem Geviert. Neben einer Entschärfung des Gruppenemblems und dem Verlust an Haaren gab es zwei Wechsel bei den Hanauern. Der Sänger und der Schlagzeuger waren ausgestiegen. Discreation Death Metal 2008 sind: Müllerlenz, Schilling, Okon, Frick und Goericke. Die Neuzugänge brachten neuen Schwung in die Rotte. Discreation holzten sich nicht mehr nur roh und mit Volldampf durchs Thema Krieg, sondern wechselten das Tempo und streuten Melodic-Death-Splitter ein, bei denen sie neben den Berserkergrowls auch mit klarer Stimme und Sprechgesang agierten. Außer „Leviathan“ gaben die Hessen heute ausschließlich unveröffentlichtes Material des reifer, moderner und griffiger ausgerichteten Zweitlings 'Withstand Temptation' zum Besten. In fünfundvierzig atmosphärisch dichten Minuten blieb die handgemachte 'Great Curse'-Frühzeit komplett unberücksichtigt. Mythisch war der Einfall der Saitenmänner, die schlichte schwarze Hemden mit den weißen Majuskeln HONOUR (Ehre, Bass), FAITH (Treue, Rhythmussgitarre) und TRUTH (Wahrheit, Leitgitarre) trugen. - In der Pause kam´s zu einem Wiedersehen mit Ron vom „Not An Emergency“-Fanzine...
In der elften Nachstunde brachte sich mit Iblis, Wachtfels, Cruor und Mayhemic Destructor Deutschlands führende (und umstrittenste) Division im Black Metal in Stellung. Zeit für das endstille Reich mit dem schwarzmetallischen Nachbrenner zum Zweiten Weltkrieg, Zeit für ENDSTILLE aus Schleswig-Holstein. Mit „Dominanz“ startete das Einsatzkommando Nord in seine Offensive - und wie von einer unsichtbaren Macht befohlen, blies fortan ein Sturm aus rituell in die Luft gereckten Armen, Eisen und fliegenden Haaren von zwei Hundertschaften verschworener Endstille-Anhänger in Richtung Podium. Grimmige Gestik und Mimik, verzerrte, schwer verstehbare Propaganda, komatöse Trossen auf Höchstgeschwindigkeit, dazu ein wahnwitzig rumpelndes Sperrfeuer aus dem Hinterland beherrschten jetzt den Saal. Wie stets spannten Endstille ihren Feldzug von schon rostigen Haubitzen mit derbem Charme - wie dem „Frühlingserwachen“ und „Biblistburner“ - bis hin zu den kalt blitzenden Granaten aus dem neuen endstillen Reich, auf dem heute das Hauptaugenmerk lag. 'Endstilles Reich' ist noch zorniger, noch raserischer und noch klirrender als alles je zuvor geworden. Auf diesem Tondokument geht es um die norddeutsche Heimatstadt von Endstille, die durch Luftangriffe der Alliierten zerstört wurde. Der Haß auf den Feind ist so irrational wie verbrannte Erde. Auch der lausige Klang im Saal konnte die Faszination nicht trüben. Mit zwei Nachbrennern währte Endstilles Blitzkrieg über Darmstadt exakt 66 Minuten - von 23.20 bis 0.26 Uhr.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
RETALIATION
unbekannt
 
DISCREATION
1. Intro
2. Liberation
3. To Rust
4. Virgin Mother
5. Captured and Freed
6. Set the Memories Ablaze
7. Breeding Terror
8. Worth Fighting For
9. Symphony of Broken Bones
10. Leviathan
 
ENDSTILLE
1. Dominanz
2. The One I Hate
3. Frühlingserwachen
4. Endstilles Reich
5. Vorwärts! (Sturmangriff II)
6. I Bless You... God
7. Worldabscess
8. No Heaven Over Germany
9. Among Our Glorious Existence
10. Bilblist Burner
Mit hetzerischer Feldjacke von Endstille und einem von 100 Exemplaren der expliziten „Baby-Blitz over UK“-Hemden im Gepäck, dazu mit mächtig einem in der Krone (vom Krone-Bier in der Krone), habe ich mit meinem Mädel um eins den Rückmarsch angetreten. Ein Nachtbus sollte uns nach Frankfurt bringen... Die Karre kam nicht. So forderte das Unternehmen „Feindfahrt“ für uns mit 55 Euro für ein verdammtes Terroristentaxi am Ende ein schweres Opfer. Überlieferungen nach, haben gewisse Personen noch bis in die fünfte Morgenstunde in der Krone getagt......
 
 
Heiliger Vitus, 28. Januar 2008