DUTCH DOOM DAYS XII
 
TROUBLE, ATLANTEAN KODEX, PHLEBOTOMIZED, OFFICIUM TRISTE, SURTR, FAÇADE
NL-Rotterdam, Baroeg - 19. Oktober 2013
Prolog
 
Freitag, 18. Oktober
 
Nachdem wir uns monatelang in Disziplin und Keuschheit geübt hatten - um beim großen Berlin-Marathon einen weiteren Rohrkrepierer einzustecken - konnten Peanut und ich endlich wieder den Doom richtig ausleben. Am Vormittag des 18. Oktober begaben wir uns von der sonnenbeschienenen Wetterau auf einen weiteren Feldzug ins schöne Holland. Europas älteste Doomkonferenz hatte gerufen... Gleich zu Beginn trafen wir auf dem Frankfurter Hauptbahnhof Till von Elvenpath, der mit Skyclad 2006 selbst einen Auftritt im „Baroeg“ Rotterdam hatte. Till war in Begleitung eines blinden Mädels. Weiß der Himmel, was die auf dem Bahnhof trieben. Es blieb keine Zeit zu reden... Rotterdam erreichten wir ohne Zwischenfall. Halb fünf nachmittags war die „Kamer 532“ im vertrauten Bettenhaus am Ufer der Maas bezogen. Nach einigen Biertjes in der Hafenkneipe „De Ballentent“ und diversen jungen und alten Jenevers an der Hotelbar lagen wir Mitternacht in der Falle.
 
Sonnabend, 19. Oktober (1. Tag)
 
Weil an der Straßenbahn nach Lombardjien gebaut wurde, mußten wir die Kröte schlucken, und für viermal Baroeg hin und wieder zurück achtzig Euro für Taxifahrten abdrücken. Gleich der erste Chauffeur verband das Baroeg mit „Hippiemusic“ und äffte dazu Blumenkindertänze nach... Punkt 15.40 Uhr hatten wir das Ziel erreicht. Dort war alles noch wie vor einem Jahr. Man traf man auf reizende Menschen in lieblicher Gegend. Rechts die Plattenbauten mit „Inkie´s“ Frittenbude. Links die grachtendurchzogene Wiese mit der einsam herumstehenden Konzerthalle (samt ihren blitzblanken Bänken und duftenden Mülltonnen). Dazwischen der vierspurige, durch einen Matschgraben getrennte Spinozaweg. Draußen verlor sich eine Horde Kuttenträger und Langhaariger. Laut Kasse fanden 200 den Weg ins Baroeg (selbstgeschätzt waren es 150, und morgen sollten es nur um die 60 sein). Die Zweitageskarte kostete diesmal 34 Euro - vier Euro mehr als vor einem Jahr, und dies bei mutmaßlich schwächerer Besetzung. Aber ein Schwergewicht wie Trouble hat eben seinen Preis. Meine eigenen Hoffnungen lagen auf vier Gruppen: Façade, Dresden/Leningrad, Doomed und Funeralium. Doch oft spielt das Leben anders.....
FAÇADE waren ganz spät in die Doom Days gerutscht, weil Schwedens Doom-Metaller VOID MOON in letzter Sekunde einen Rückzieher machten. Man kann nicht sagen, daß die sechs (!) Grünschnäbel aus Dordrecht ab 15.45 Uhr Bäume ausgerissen haben. Doch verblüfften Ruhe und Kompaktheit, mit der die Tiefländer um Ben de Graaff ans Werk gingen. Eine gegrunzte Stimme, drei melodische Gitarren, Baß und Schlagzeug verschmolzen zu einem Klangwall zwischen Doom Metal und Death Doom. Façade klangen barsch, aber herkömmlicher Death Doom ist mittlerweile auch ein abgedroschenes Ding. Die Ausnahme machte das finale „To My Beloved One“ mit seiner funeraligen Grundierung und einem dronigen Ende. Neben einer körperlich etwas matten Performanz, kamen alle Ansagen nur auf Niederländisch. Façade doomten 42 Minuten. Mit ihnen waren gleich die Ersten auf meinem Radar verpufft...
Bei strömendem Regen griffen im Schutz der Baroeg-Halle kurz nach fünf die nach dem altnordischen Feuerriesen Surt benannten SURTR zu den Waffen. Surtr waren aus dem lothringischen Metz angerückt, und stellten fast ihr komplettes Langeisen 'Pulvis et Umbra' vor. Jenes trieft vor urtümlichem, obskurem, okkultem Doom Metal. Man trug ein spirituelles Stirnband, lange Haare, Bärte, Denim und einen ausgeblichenen Saint-Vitus-Fetzen. Kurzum: das Doom-Erlebnis war perfekt. Zu Beginn noch leicht unterkühlt, machten Maurer, Kuhn und Beck ab der Hälfte ihres Weges ernst, und pfefferten mit „Rebellion“, „I Am The Cross“ und „Fred Karno´s Army“ hinten raus drei gewaltige Batzen in die Meute. Zu Surtr durfte man erstmals headbangen! Den Rest der Doomtage sollte meine Hose von einem Aufnäher der drei schwarzen Hunde aus Lothringen geziert sein! Kill yourself!
„Doom unser Wohnzimmer!“, lautete das gedachte Motto der Rottderdammer OFFICIUM TRISTE. Zu diesem Zweck hatten die Ahnväter aller niederländischen Doomgruppen ihren in Vietnam weilenden Gitarristen extra durch einen Achtsaiter von Whispering Gallery ersetzt. Jener sollte die Schau seines Lebens spielen (und am Schluß dafür vom Sänger geherzt werden). Dennoch reichte es nicht, wie vor zehn Jahren beim ersten Doom Shall Rise, für den Höhepunkt, als man den Sensationsauftritt hinlegte. Seither hatte man mit Umgruppierungen zu tun; das Haar ist lichter, die Bäuche sind dicker geworden. Und: Officium waren noch melodischer und langsamer als zuletzt. Ihre Lieder trugen heute allzu viel schwarzromantische Färbung und erinnerten frappierend an die polierten Paradise Lost. So waren die früheren Stil-Stars weit weg von guten Tagen. Wo sind die Tiefe des Doom und die Härte des Death von 2003 hin? Nein, Liebe wird es so nicht mehr. Trotzdem hatten Officium mit geschätzten 200 die meisten Leute hinter sich. Peanut hatte in den Tagen von Rotterdam ständig das Lied „Headstone“ im Kopf. Aber Officium spielten heute „only own songs“.....
16 Jahre lagen PHLEBOTOMIZED im Kälteschlaf. Mit einem Sänger, zwei Gitarristen, einem Bassisten, einem Trommler, einem Streicher und einem Keyboarder setzte man heute das meiste an Mensch und Material ein. Im Vergleich zu ihren südholländischen Landsmännern Officium fielen Phlebtomized allerdings noch weiter ab. Nach viel Kuddelmuddel ums Keyboard ertönte mit reichlich Zeitverzug erst - als spöttische Einleitung - Satchmos „What A Wonderful World“, und danach ein Konstrukt, daß leicht und locker zwischen Death Metal, Folklore, Symphonie und Feingeist hin und her balancierte. Die Bühne war zwar zum Bersten voll besetzt, aber was wir sahen, blieb blutleer. Die Phlebtomisierten wollten wir uns nicht antun. Während der Tonmeister von Trouble in großer Hektik seine Konsole abfunzelte und diverse Leute vor der Mattscheibe das Auswärtsspiel von Feyenoord bei GAE Deventer verfolgten, tauchten P. und ich im Imbiss „Inkie´s“ quer über die Straße ab.
Lange standen ATLANTEAN KODEX als Hauptakt des ersten Tages auf dem Programm - bis die nachfolgende Berühmtheit aus Amerika verpflichtet werden konnte. Gut, daß es so kam. Denn Atlantean Kodex waren wie ein reinkarnierter und stadiontauglich aufgepeppter Mutant aus Judas Priest, Manowar und Bathory. Dazu hatte man beim Titel „Pilgrim“ das besessene Kreischen von Deep Purples „Child in Time“ stiebitzt. Aber das Entscheidende: Atlantean Kodex waren kein Doom, sondern epischer Heavy Metal, die volle Dröhnung aus dem tiefsten Bayern, und nichts sonst! Das Quintett punktete mit krachiger Aktion, fiel bei Doomstern aber durch. Final ließ sich der Frontmann zu einem in Holland womöglich unerwünschten „In Deutschland würde ich sagen: Geile Sache!“ hinreißen. Die letzte Abrißbirne trug den Namen „Atlantean Kodex“. Was auch sonst?
Mit Legenden soll man vorsichtig sein. Besonders wenn nur noch der Name lebt. Mit Rick Wartell und Bruce Franklin traten halb elf zumindest zwei lebende Statuen des Doom Metal auf die Bühne. Wartell und Franklin hatten TROUBLE 1979 in Chicago, Stadt der Gangster, gegründet. Nach der Trennung von Eric Wagner und Schwierigkeiten mit Warrior Souls Kory Clarke, bekam die Doppelspitze an den Sechssaitern ihre Stimme heute von einer Kultfigur des Thrash verliehen: Exhorders Kyle Thomas. Shane Pasqualla und Mark Lira hielten auf der Europa-Tour als Bassist und Trommler her. Die fünf stiegen durch „The Tempter“ gleich mit einem Heiligtum des Doom ein. „The Tempter“ klang auch nach 29 Jahren noch gottbegnadet gespenstisch. Es folgten nicht minder geniale Gewitter: „The Sleeper“... „End of My Daze“... „Psalm 9“. In der Mitte kamen Sachen jüngeren Datums. Optik und Atmo waren überwältigend, nur das neue Material klang weniger spirituell. Aber allein die Präsenz, die ekstatischen Bewegungen, das stille Grinsen der Helden, ließ einen am Ende des Tages auf die Knie sinken. Wer bitte war Eric Wagner? Mag sein, daß durch Datenleitungen etwas getrickst war, aber Thomas paßte perfekt zu Trouble, und die Alten hatten´s sowieso drauf. Final gaben Trouble unseren lauten Rufen nach „Rest in peace“ nach (Peanut hatte regelrecht danach geschrien), und zelebrierten nach knapp achtzig Minuten als Nachbrenner das ewigliche „R.I.P.“ Schade, daß sich Wartell am Andenkenstand allzu abgewichst gab. Trotzdem werden wir diese Vorführung in Sachen Doom Metal nicht so schnell vergessen.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
SURTR
(17.02-17.42)
1. Sonic Doom
2. Timeless Soul
3. The Call
4. Rebellion
5. I Am the Cross
6. Fred Karno´s Army
 
OFFICIUM TRISTE
(18.06-19.07)
1. On The Crossroad Of Souls
2. Your Fall From Grace
3. This Inner Twist
4. Your Heaven, My Underworld
5. The Wounded And The Dying
6. My Charcoal Heart
7. Like Atlas
 
PHLEBOTOMIZED
(19.33-20.35)
What A Wonderful World Intro [Louis Armstrong]
1. Immense Intense Suspense/Barricade
2. Desecration of Our Alleged Christian History
3. Iron Man/Mellow Are The Reverberations
4. In Search of Tranquility
5. Subtle Disbalanced Liquidity
6. Fate of a Devotee Intro-Devoted to God
7. Gone
8. Gass Intro/Mustardgas
What A Wonderful World Outro [Louis Armstrong]
 
ATLANTEAN KODEX
(21.00-22.00)
1. From Shores Forsaken
2. Pilgrim
3. Sol Invictus (With Faith And Fire)
4. Heresiarch (Thousandfaced Moon)
5. Enthroned in Clouds and Fire (Schlußlauf!)
6. The Atlantean Kodex
 
TROUBLE
(22.31-23.48)
1. The Tempter
2. The Sleeper
3. At the End of My Daze
4. Psalm 9
5. Paranoid Conspiracy
6. Hunters of Doom
7. Flowers
8. Wickedness of Man
9. Endtime
10. When the Sky Comes Down
11. Sucker
12. Revelations
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13. Instrumental
14. R.I.P.
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((((((Heiliger Vitus)))))), 26. Oktober 2013