DATURA, NOVA DRIVE, PETRA
D-Frankfurt am Main, Nachtleben - 26. Dezember 2004
[26.12] Birthday on Spacecraft! 26.12.: Diese Ziffernfolge steht für mich (fast immer) für ein weiteres, sinnlos verstrichenes Lebensjahr. In diesem Jahr makabererweise auch noch für den Tag der gewaltigen Flutwelle „Tsunami“: Am Morgen des 26. Dezember hatte unterm Indischen Ozean die Erde gebebt, worauf ein meterhohes Wassergebirge sintflutartig über die Strandparadiese in Thailand und Indonesien hereinbrach und binnen weniger Minuten ganze Landstriche in den Wogen versinken ließ. Im Inferno aus Trümmerteilen, Autos und Baustämmen wurden über 230 000 Tote gefunden... Der eigene Sonnenaufgang wurde unterdessen im Keller des Frankfurter Klubs „Nachtleben“ gefeiert. Drei entrückte Gruppen brachten das Ständchen. Unter zweihundert Gästen war auch meine Schutzfee Peanut.
„High, wir sind Petra“, hieß es kurz nach neun. PETRA standen für Positron-Elektron-Tandem-Ring-Anlage, ein Gerät, das geladene Materie durch Elektrofelder auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt (auch Teilchenbeschleuniger genannt). Die Musikgruppe Petra wiederum stammte aus Frankfurt und machte Kraut-Psychedelic-Space-Rock seit 1997. Mit siebziger Hawkwind-Gitarren, stoischen Trommeln, dunklen, danzigartigen Bluesvokalen und der „Axis of Evil“ an Bord, hob das Raumschiff ab. Rakete Nummer zwei war „Collidoscope“ betitelt. „Collidoscope“ startete tiefenentspannt und entschwand in der Schwerelosigkeit des Raums. Ein Instrumentales voller kosmischer Effekte und einer klanggewaltigen Riff-Schleife schloß sich an: der „G-Major“. Und darauf der schon provokant gelassene „Soulmaster“. Indierock-Kennerin Peanut sprach selbigem Parallelen mit The Beasts Of Bourbon zu. Ike Anger, Rosenberg und Emmerling sind abgedrehte Typen. Aufgemacht in Hawaiihemd und Blume an den Stimmwirbeln des Gitarrenkopfes, mit Cowboyhut und Elviskoteletten, Designerzwirn und Hornbrille. Schräger ging´s kaum. Und musikalisch waren Petra sowieso Genies auf ihre Art. Den ganz großen Stern, den Überriesen gewissermaßen, den hatten sie sich bis zum Ende aufbewahrt. Er hieß „Aldebaran X“, und hierin verschmolz der ganze Kosmos in einem Urknall von allgewaltigen zwanzig Minuten. Mal gab es bluesige Mundharmonika, dann fast Stillstand, dann wieder rumsende Bässe, Stille, und wieder ohrenzerfetzende, lichtschnelle Trossen. Sogar der Luftschacht klirrte unter Petra. Und die können bis zu zwölf Stunden improvisieren... „Space is the base“, wie sie sagen. Heute hieß es nach einer Stunde kurz und schmerzlos „Viel Spaß mit Nova Drive. Wir waren Petra.“ - - Halbstündiger Umbau. Quatschen und trinken. Was man in Klubs nun mal tut...
... und NOVA DRIVE, Asteroid Nummer zwei heute Nacht. Sagen wir mal so: das Aufleuchten eines lichtschwachen Sterns durch elektronisch angetriebene Psychedelic-Space-Rhythmen. „Stand up against hate“ und „Think progressive“ hatten sich Nova Drive auf ihr Fähnlein geschrieben. Großes Kino hatten sie mitgebracht, eine bühnenfüllende Videoleinwand. Auch ND kamen aus der Stadt am Main. Hinter denen standen Frau Michel, Herr Wagner, Batschkapp-Booker Sinisha, sowie Trommler Niemeyer. ND wurden von einer Dame angeführt. Mit der zierlichen Suse stand und fiel die Band. Mit Nerzstola, Dessous und Stöckeln war Suse unverschämt sexy gedresst, aber mit flacher Stimme bestückt. Unterkühltes Gekiekse, unterkühltes Klaviergeklimper, keine Kanten, keine Tiefe, mal etwas Groove, dann gleich wieder ein poppiges Wiegenlied: Nach den Hängern zu Beginn griff man geschickt in die Mottenkiste und lieferte eine zehnminütige, von Schellenrasseln unterlegte Anhimmelung der Krautrocklegende Can mit „Spoon“. In „My My My“ lag ein Funken Rocknroll in der Luft, und in „And I Cried“ paarten sich sphärische Sternen- mit exotischen Sitar-Effekten. Die knalligste und geradlinigste Nummer im Orbit des Kunstprodukts kam ziemlich am Ende durch „I Can´t Hide“. Suse dankte dem Tonmixer und dem „Meister, der extra aus Amerika rübergeschwommen ist, für das da...“ (Fingerzeig auf das Medium an der Wand). Nach einer Stunde hieß es „Tschüss, macht´s gut, das waren Nova Drive.“ Nova Drive waren keine Super Nova, aber in Ordnung. Vielleicht war das auch die Musik einer neuen Generation, die nicht jedem schmeckt... Zwei, drei Weizen aus Schöfferhof später war es soweit...
Sieben Minuten vor Mitternacht explodierte die finale Supernova durch Ambient Noise Rock von DATURA aus Frankfurt. Mit von der Partie waren die Gitarristen Mathias und Flo, Bassist Benny, Patrick hinter den Trommeln sowie der am Boden kniende Klangerzeuger Ralf. Datura? Datura stramonium (auch Stechapfel oder Donnerball genannt): halluzinogene Biodroge mit heftigem Rausch bis zu 36 Stunden unter Auflösung des Zeitempfindens und optischen Visionen bei halbwachem Zustand (bei Überdosierung auch zum Tode führend): So könnte es gewesen sein. Aber keine Angst: Tödlich waren Datura nicht. Aber etwas hat es die Umgebung schon verformt! Datura kamen ohne Texte, aber mit viel Rhythmus. Datura waren Postrocker, Avantgardisten! In ihrer Musik lagen Endzeit und Aufbruch zugleich. Fast schon doomig und esoterisch gleich der Anfang durch ein Brandneues und „Shoal“. Von Experimentalfilmen in grobkörnigem Schwarz-Weiß untermalt, blies nun ein Sturm voller Wehmut, Brachialität und Finsternis durch den Raum. „Shoal“ bewirkte einen ersten Szenenapplaus. Dazu hörte ich eine Stimme im Off mit rollendem R etwas von „Vor fünfzig Jahren...„ sagen. Zwei weitere entrückte Einschläge folgten hinterher. Einer davon mit dem Titel „Warmachines“. Datura bogen sich in Ekstase, und es war verdammt infernalisch und hypnotisch, was sie uns da um die Schädel knallten. Mit der Wirklichkeit ging es schnell den Bach runter. Oh, wie gern hätte ich zu Füßen der fünf abgedoomt. Aber ich war mit Datura nicht vertraut und irgendwann war es zu spät für einen Trip in die Galaxie. Nach einer Stunde folgte eine klitzekleine Unterbrechung im Mahlstrom der Überlängen - wie zum Durchschnaufen vor der ersten Verlängerung der Nacht... durch „Lovelight“, einem Endbeschleuniger gleich einer Explosionswolke nah an der Drone-Ikone Sunn - nur etwas heller als jene. Doch Gott verdammt, die letzte Bahn drängte zum Gehen. Um 1.06 Uhr entschwanden wir mit den weißen Zwergen der Milchstraße. Nach Lage der Dinge war das nicht der letzte Donnerball mit Datura (stramonium)!
 
 
(((Heiliger Vitus))), 28. Dezember 2004
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
PETRA
(21.10-22.10)
1. The Axis of Evil
2. Collidoscope
3. G-Major
4. Soulmaster
5. Aldebaran X
 
NOVA DRIVE
(22.35-23.35)
1. Sabbath
2. I Want You to Know
3. Emo Core
4. Spoon [Can]
5. My My My
6. And I Cried
7. I Can´t Hide
8. Black Haired Man
 
DATURA
(23.53-?.??)
1. Neues ohne Titel
2. Shoal
3. Warmachines
4. Neues ohne Titel II
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5. Lovelight