BOHREN & DER CLUB OF GORE
D-Offenbach, Hafen 2 - 1. März 2014
Kunst oder Kasse? Mit seiner Erscheinung 2002 galt das vierte Bohren-Album 'Black Earth' damals als eine der Neudefinierungen des Doom. Später wurden Mondpreise für den Schwarz in Schwarz gehaltenen Pappschuber der Erstausgabe geboten. Noch nie hatten Peanut und ich es indes zu einem Auftritt der Zeitlupenjazzer aus Mühlheim an der Ruhr geschafft. Inzwischen waren schon wieder zwölf Jahre rum. Nun bot sich die Chance im jüngst vom Lokschuppen der Offenbacher Hafenbahn einen Steinwurf weiter umgezogenen „Hafen 2“. Das neue Kulturzentrum auf einer Brache im Kaiserlei hatten wir um neun erreicht. Wir erschienen pünktlich zum Einlaß, da das Konzert als „teilbestuhlt“ angekündigt war. Umso verdrießlicher der Anblick im Saal: Die zwölf Reihen mit je 13 Sitzen waren besetzt. Mit Glück ergatterten wir zwei Hocker vor dem riesigen Mischpult mitten im Raum. Zu den rund 160 Sitzenden kamen bis zum Beginn noch mal rund 100, die sich seitlich in die Gänge quetschten oder ein Fleckchen am Boden erhaschten. Offenbachs neues „Interdisziplinäres Kulturzentrum“ war völlig übervölkert. Das Publikum setzte sich überwiegend aus Schlauköpfen zusammen. Eine Glatze trug ein Hemd „Gegen Nazis“. Ehemalige Musiker aus der Frankfurter Szene waren zu sichten, darunter Leute von Decade of Aggression (R.I.P.), Sapiency und Soleilnoir (R.I.P.). Von Letzten kam ich mit dem Bassisten und dem Sänger ins Gespräch. Die Dreads waren ab, der Körper drahtig, Maggot nicht wiederzuerkennen. Jörg half mir auf die Sprünge...
Auf die Minute genau um 21.45 Uhr stiegen die Einzigen des Abends in ihre 'Piano Nights' ein. Ich bin nicht ganz sicher - bei Bohren klingt eins wie´s andere - doch nach der vorangegangen, dreiviertelstündigen Vernebelung der Bühne könnte es „Im Rauch“ gewesen sein. Der Gruß im Anschluß lautete: „Guten Abend, wir sind BOHREN & DER CLUB OF GORE aus Nordrhein-Westfalen.“ (Gore auf Englisch ohne „e“, der Rest in rheinischer Mundart.) Nun war es also soweit: Bohren in Fleisch und Blut... Vorne standen und saßen die seit zwei Jahrzehnten in smartem Zwirn vereinten Thorsten Benning (Schlagzeug und Besen), Robin Rodenberg (Elektrobass), Morten Gass (Klavier und Sechssaiterbass) sowie Christoph Clöser (Saxophon und Vibraphon). Zu sehen waren jene allerdings nur geisterhaft, in schlanken Lichtkegeln. Denn wie das Auditorium war auch die Bühne in Finsternis getaucht. Und wie der Nebel waberten auch die Klänge schwerelos und nahezu lautlos durch den Raum. Die einzige Bewegung auf der Bühne lieferte Clöser, der von Zeit zu Zeit bedächtig zwischen seinen Klangerzeugern oszillierte. Was wie ein Erlebnis begann, entwickelte sich später immer mehr zu bohrender Langeweile. Spätestens nach dem Dritten hatte die in sonorer Entschleunigung dahinplätschernde, watteweiche Lounge-Kultur den Hafen 2 in ein Schlaflabor verwandelt. Aufrüttelnd geradezu: die wenigen, in einer Mischung aus Süffisanz und Helge Schneider, dargebotenen Einlassungen. So war „Fahr zur Hölle“ den genötigten Automobilisten gewidmet; „Unrasiert“ galt den Freunden sauberer Erotik. Bohren waren „boring“, der Raum zu eng und schwitzig. Vom synthetischen Keyboard genervt, entschwand Jörg der Szenerie. Mir selbst wurde vom Nebenmann Sprechen und Flüstern untersagt. Peanut und ich sollten es draußen tun. Wenigstens erlaubte die Mieze am Einlaß das Fotografieren. „Wenn´s niemand stört.“ Schändlicherweise war das Klicken des Verschlußes genauso zu hören, wie das Ploppen und Klappern der Flaschen aus den letzten Ecken. Als „coole Figuren“ spielen Bohren eigentlich keine Zugabe. Weil sie heute aber so viel Freude hatten - „Vielen Dank! Wenn das so ist, dann...“ - brachen sie mit diesem ehernen Gesetz. Nach achtzig Minuten und der finalen Verbeugung der Künstler kam die Erlösung.
ABSPIELLISTE BOHREN & DER CLUB OF GORE
(21.45-23.05/ohne Gewähr)
1. Im Rauch
2. Bei rosarotem Licht
3. Fahr zur Hölle
4. Irrwege
5. Ganz leise kommt die Nacht
6. Segeln ohne Wind
7. Unrasiert
8. Verloren (alles)
9. Komm zurück zu mir
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10. Karin
11. Destroying Angels
12. Maximum Black
Die Erwartungen waren riesig, die Verheerung umso tiefer. Bohren waren sterbenslangweilig und dazu noch pure Abzocke. Das Tüpfelchen aufs i setzten die 18 Euro für ein Hemd mit Frontdruck. Auf Andenken hätten wir ohnehin verzichtet, aber der Samstagabend und die 22 Euro Eintritt pro Kopf waren futsch. Da half nur tief Luftholen und was trinken gehen. Der Umstieg auf der Konstablerwache von der S1 in die S6 erlaubte eine Stunde im einstigen Frankfurter Wohnzimmer „Nachtleben“. Es war wie eine Befreiung vom Kunstquark. Um 0.59 Uhr fuhr der Lumpensammler in die Wetterau. Auf dem Heimweg mußte P. sich gleich zweimal erbrechen. Vielleicht lag´s an der Offenbach-Allergie? Für mich steht fest: Nie wieder Bohren!
 
 
Heiliger Vitus, 3. März 2014
Bilder: Vitus, Schankbursche Nachtleben